Geschichtslernen und Geschichtskultur in Zeiten der Krise: Call for Papers

Der Call for Papers ist abgeschlossen.

Gegenwärtig lassen sich zahlreiche Phänomene beobachten, die öffentlich häufig als Krisen gelten (z. B. Fluchtbewegungen, Klimawandel, Corona-Pandemie, Ukrainekrieg). Zum Teil werden diese Ereignisse als sich gegenseitig verstärkend und Ausdruck oder Ergebnis des menschgemachten (Erd-)Zeitalters unter dem Begriff «Anthropozän» gefasst. Dieser Begriff wird unter anderem genutzt, um zu zeigen, dass menschliches Handeln, welches auf Wachstum und Fortschritt ausgerichtet ist, Teil des Problems statt der Lösung ist. Geschichtsdidaktisch handelt es sich um aufregende Zeiten. Es ist davon auszugehen, dass Krisen, sofern sie sich historisch deuten lassen, historisches Denken anregen. Zudem zielt historisches Lernen an Schulen, Hochschulen sowie in ausserschulischen Kontexten unter dem Kompetenzparadigma auf die Förderung von Problemlösefähigkeit, die wiederum der Krisenbewältigung dienen kann. Aufgrund der Bedrohlichkeit der genannten Erscheinungen geraten vermehrt Handlungsziele und moralische Ziele in den Blick, die nicht nur die kognitive, sondern auch die emotionale Ebene betreffen. Deren Einbezug wurde in die geschichtsdidaktische Forschung mehrfach gefordert, ist bisher aber kaum berücksichtigt worden. Des Weiteren ist zu fragen, welche Narrationen der Krise(n) erzählt werden, wessen Geschichte(n) Gehör geschenkt wird, für wen diese bedeutsam sind (Akteur*innen, Gruppen, Gesellschaften) und wie damit in der Geschichtsvermittlung umzugehen ist. Bisher sind die Chancen und Herausforderungen der skizzierten Zusammenhänge in der Geschichtsdidaktik noch kaum diskutiert und noch seltener empirisch beforscht worden.

Die Tagung geschichtsdidaktik empirisch 23 zielt daher auf die Auseinandersetzung mit Geschichtslernen und -lehren in Zeiten der Krise(n) und bietet einen Raum für den wissenschaftlichen Austausch zu theoretischen Grundlagen, Forschungszugängen und -ergebnissen. Dabei sollen

  1. die theoretischen Grundlagen für historisches Lernen und Lehren in Zeiten der Krise(n) sowie für deren empirische Erforschung in den Blick geraten (z. B. Konzepte von «Zeit», «Agency»),
  2. geschichtsdidaktische Chancen und Herausforderungen, die in den Krisen liegen, diskutiert werden,
  3. empirische Studien, deren Design oder Ergebnisse auf die Krisenhaftigkeit der gegenwärtigen Geschehnisse bezogen sind, im Zentrum stehen und
  4. pragmatische Schlussfolgerungen für die Geschichtsvermittlung in Schulen, Hochschulen und ausserschulischen Kontexten erörtert werden.

Für die Tagung sind, wie auf der geschichtsdidaktik empirisch üblich, vier Keynotes geplant:

  • Sebastian Barsch, Köln,
  • Kai Niebert, Zürich,
  • Christine Pflüger, Kassel,
  • Zoltán Boldizsár Simon, Bielefeld.

Zudem sind Panels vorgesehen, in denen die theoretischen Voraussetzungen, normativen Prämissen, empirischen Zugänge und pragmatischen Gestaltungsmöglichkeiten zum Tagungsthema fokussiert werden. Des Weiteren werden einzelne oder mehrere Sektionen angeboten, in denen Beiträge, die über den skizzierten Rahmen hinausgehen, ihren Platz haben.

Die Tagung findet am 7. und 8. September 2023 in Basel statt. Für die einzelnen Präsentationen stehen 20 Minuten zur Verfügung. Für die anschliessende Diskussion sind 15 Minuten eingeplant. Tagungsort ist die Alte Universität Basel. Somit kehrt die geschichtsdidaktik empirisch 23 wieder an ihren Ursprungsort zurück.  

Das Tagungsprogramm wird Präsentationen in folgenden Themenfeldern aufnehmen:

  • Geschichtswissenschaftliche, -theoretische und -didaktische Ansätze der Geschichtsvermittlung in Krisenzeiten, etwa
    • zu den geschichtstheoretischen Grundlagen historischen Denkens in Krisenzeiten, verursacht durch Krieg, Pandemie, Umweltkatastrophen etc., und den Folgen für die Forschung,
    • zum Verhältnis von Klima-, Tier-, Mensch-Natur-Umweltgeschichte(n), den Nachbardisziplinen (z. B. Politische Bildung, Geologie, Geografie, Ethik, Philosophie) und deren Einbezug in die schulische und ausserschulische Geschichtsvermittlung,
    • zu den Folgen der Klimakrise, deren globaler Dimension, zu den damit verbundenen Diskussionen um Klimagerechtigkeit und der Veränderung von Naturwahrnehmungen und Zeitkonzepten für die geschichtsdidaktische Forschung und
    • zu den Folgen für normativ-moralische Bildungsziele an der Schnittstelle zur Politischen Bildung, Bildung für Nachhaltige Entwicklung (BNE), Demokratiebildung, Moralerziehung und Wertebildung etc.
  • Empirische Forschungsansätze und Befunde
    • zu historischem Lernen und Lehren in Zeiten der Krisen (z. B. in Bezug auf Krieg, Pandemie, Klimawandel, Flucht- und Migrationsbewegungen, sich wandelnde Mensch-Umwelt-Beziehungen etc.),
    • zu (technischen) Lösungsansätzen mittels Geschichte (z. B. digitales historisches Lernen, historisches Lernen und Bildung für Nachhaltige Entwicklung (BNE), Politische Bildung und Demokratiebildung),
    • zu Krisennarrativen (z. B. Schulbucherzählungen, Lehrpläne) und deren Vermittlung,
    • zur veränderten Lernzielbestimmung und -erreichung in Krisenzeiten für verschiedene Personengruppen (z. B. Schüler*innen, Studierende, Lehrkräfte, Historiker*innen) in formalen, non-formalen und informellen Bildungssettings (z. B. Interventionen, Design-Based-Research, Kompetenztests, qualitative Analysen),
    • zu Professionalisierungsprozessen an Schulen, Hochschulen und weiteren Institutionen zum Umgang mit und in Krisenzeiten und
    • zur ausserschulischen Geschichtsvermittlung und empirischen Erforschung von Geschichtskultur (in Krisen).
  • Empirische Forschungsansätze und Befunde
    • zu weiteren geschichtsdidaktischen Fragestellungen, u. a. Kontexte und Prozesse historischen Lernens und Lehrens, historisches Verstehen und Verknüpfungen zu Geschichtskultur, Lern- und Leistungsdiagnostik, Professionalisierungsforschung.

Zur Eingabe der Beiträge

Erwünscht sind Beiträge, die eine geschichtsdidaktische Fragestellung unter Einbezug empirischer Daten bearbeiten oder der theoretischen Weiterbearbeitung zugänglich machen. Die angewandten Methoden entsprechen dabei der Vorgehensweise qualitativer und quantitativer Sozialforschung oder sind von historischer oder kulturwissenschaftlicher Prägung. Wie bis anhin wird an der Tagung die Möglichkeit geboten, nebst spezifischen Themen zum Tagungsthema weitere geschichtsdidaktische Arbeiten wie Qualifikationsarbeiten (Dissertationen und Habilitationen), grössere, mit Drittmitteln finanzierte Forschungsprojekte oder kleinere, explorative Forschungsvorhaben (Studienprojekte) vorzustellen. Von der Eingabe von Vorträgen, welche die Konzeption von Forschungsprojekten betreffen, jedoch noch nicht gestartet sind, bitten wir abzusehen. Wir werden die Präsentation dieser Projekte gerne zu einer fortgeschrittenen Projektphase an einer zukünftigen geschichtsdidaktik empirisch aufnehmen.

Interessierte Personen bitten wir, bis zum 31. Januar 2023 ein Abstract (Umfang 600 Wörter, exkl. Literaturangaben) für die geplante Präsentation über das Tagungstool der PH FHNW einzureichen. Das Abstract soll nachfolgende Angaben enthalten:

  • Theoretischer Hintergrund (theoretische und forschungsbasierte Ausgangslage)
  • Fragestellung, die in der geplanten Präsentation bearbeitet wird
  • Argumentationsstruktur (bei theoretischen Beiträgen)
  • Vorgehen/Methoden der Datenerhebung, Stichprobe sowie Vorgehen bei der Datenanalyse (bei empirischen Beiträgen)
  • Skizzierung vorliegender Ergebnisse, die eine Beantwortung der Fragestellung bzw. eines Teils der Fragestellung ermöglichen, sowie Ausblick auf noch zu erwartende Ergebnisse
  • Konklusion, Schlussfolgerungen für die zukünftige Forschung und Praxis.

Hinsichtlich der formalen Vorgaben orientieren Sie sich bitte an jenen des Tagungsbandes (siehe unten). Bitte halten Sie die Formalien ein. Erfüllt ein Abstract die formalen Vorgaben nicht, behalten wir uns vor, den Beitrag abzulehnen.

Entscheid

Der Entscheid über die Aufnahme in das Tagungsprogramm erfolgt nach Double-Blind-Review-Verfahren und Entscheid der Tagungsorganisator*innen. Folgende Bewertungskriterien liegen der Entscheidung zugrunde:

  • Bezug zum Tagungsthema sowie Relevanz für Forschung und Praxis
  • Geschichtsdidaktische bzw. gesellschaftliche Aktualität des vorliegenden Projekts
  • Nachvollziehbarer Bezug zu Theorie- und Forschungsstand
  • Argumentative Qualität bei der Bearbeitung der theoretischen Fragestellung
  • Methodologische Qualität (Plausibilität der Fragestellung, Passung der Stichprobe, methodologisch begründetes Vorgehen bei der Datenerhebung und -auswertung) bei empirischen Arbeiten
  • Nachvollziehbarkeit der (Vor-)Ergebnisse und/oder der Schlussfolgerungen für Theorie und Praxis

Publikation

Im Anschluss an die Tagung besteht die Möglichkeit zur Eingabe der Beiträge für eine Ausgabe der in Gründung begriffenen Open-Access-Zeitschrift «Historical Thinking, Culture and Education» (in englischer Sprache) oder für einen thematischen Sammelband (deutschsprachig), zu dem ausserdem ein gesonderter Call for papers nach der Tagung publiziert wird, um weitere Beitragseingaben zu ermöglichen. Zur Qualitätssicherung werden die Beiträge jeweils ein Peer-Review durchlaufen.

Tagungsorganisation und -verantwortung

Prof. Dr. Monika Waldis | monika.waldis@fhnw.ch

Dr. Martin Nitsche | martin.nitsche@fhnw.ch

Dr. Julia Thyroff | julia.thyroff@fhnw.ch

Zentrum Politische Bildung und Geschichtsdidaktik
Pädagogische Hochschule der Fachhochschule Nordwestschweiz
Zentrum für Demokratie Aarau
Küttigerstrasse 21
5000 Aarau

×